Ja, wir waren an der Grenze, ein Ausflug am Himmelfahrtstag.
wer war da? warum? wer nicht? warum nicht?
Sehen, wie es ist, an “der Grenze”, an der physischen Grenze, wo manifest wird “da hinüber darfst du nicht - und hier herüber darf auch keiner”. Überall sonst, in Bayern, spüre ich eher “du sollst nicht” - noch nie hat zu mir jemand gesagt “das darfst du nicht”.
Wir sind ein kleines Häuflein bunter Gestalten, čojč-leudi inklusive Pablo mit seiner Familie, Zaungäste, Künstler aus Selb, später schaut auch OB Ulrich Pötzsch aus Selb vorbei. Wer ist das drüben, in Tschechien? Karel, Ivas Familie, Freunde von Karel, und vermutlich auch Zaungäste?
Kurz dürfen wir zusammenkommen, Geschenke und Requisiten austauschen, ein Fenster der Installation von Pablo nach Tschechien schieben.
Wir werden beäugt, “kontrolliert” von einer Handvoll Polizisten in dunkler Kleidung, die im Schatten eines der verlassenen Häuser am Rande stehen während unserer “Kundgebung”. (Die tschechischen Polizisten haben auf uns hier drüben ja keinen Zugriff;)). Das ist sowas wie Publikum: nur spielen wir nicht für sie, sondern für uns und ein imaginäres, mediales “Da-Draußen”.
Für eine Stunde Zusammenkunft plus Vorbereiten/Nachbereiten hat Pablo etliches an administrativem Aufwand betreiben müssen: Die Genehmigungsprozedur über das Landratsamt Wunsiedel dauerte schon ein paar Tage; die Wege der Demokratie gehen, die Wege der Regulation, offizielle Zulassung mit Auflagen, was wir zu tun haben (z.B. Ordner benennen) und zu unterlassen haben (z.B. Ball spielen über die Grenze)
https://www.cojc.eu/de/cojc-de/blog-de/286-wir-haetten-da-nicht-hinfahren-muessen#sigProIdf22f8bbd99
Ein Theater aufführen:
Akteure, Statisten, Zaungäste, Bühnentechniker, Inspizienten, Musiker, Regie, Presse.
Das Theaterstück hieß: “wir treffen uns und tun so, als ob wir frei zusammen spielen können”. Dazwischen das eigens gespannte Flatterband, das den tatsächlichen Grenzverlauf anzeigt - befestigt von extrem schlecht gelaunten, wortkargen tschechischen Grenz-Sonder-Beamten, die garantiert nicht einsehen, zu was das nun schon wieder gut sein soll. Wie auch manche Frage der Bearbeiter im Landratsamt Wunsiedel: “Muss das jetzt wirklich sein?”.
Ja, musste es!
Was bedeuten die Geschenke: Mundschutzmasken für den Westen?
Was bedeuten die Masken, die wir tragen: Kostüm oder Schutz oder Zeichen von Willkür? Im Theater ist alles Symbol - was ist es an der Grenze zwischen Bayern und Tschechien am 21.5.2020?
Wie genau heißen die Leute da drüben nochmal? mehr Unbekannte, als Bekannte - egal, es sind Freunde, weil sie gekommen sind!
Wissen sie, warum? was bedeutet es für sie?
Was bedeutet es für mich?
Als Geschäftsführerin von cojc bin ich dafür zuständig, dass unser Anliegen nicht in Vergessenheit gerät. Wir winken aus unserer Nische einander zu - und medial vermittelt auch der Welt da draußen: wir haben ein Anliegen! öffnet die Grenze, damit wir mit unseren Nachbarn, Partnern, mit Jugendlichen wieder zusammen kommen können, um zu tun, wovon wir glauben, dass es gut ist für die Welt, für unsere Beziehungen und vor allem: für die, die dabei sind! Das ist unsere Arbeit, die wir jahrzehntelang aufgebaut haben, für die wir Anerkennung bekommen haben - aber wo knüpfen wir jetzt an? Ist diese Arbeit noch “systemrelevant”? von welchen Systemen sprechen wir heute?
Ich bin dafür zuständig, dass der “companion”, unser Reiseführer fürs Grenzland, Beachtung findet. Der Reiseführer, der dazu anstiften soll, immer wieder die Grenze zu überqueren und neue Erfahrungen im Nachbarland zu machen. Derzeit ist das verboten - aber die Hinweise auf die Inhalte dazu erreichen auf facebook Tausende von Leser*innen.
Ich als Person will mich nicht spalten zwischen der Repräsentantin, die nach außen erklärt, das Symbolische der Aktion vermittelt, und mir als Person, verbunden über Freundschaftsbande und geprägt von Jahren kreativer Verknüpfungen. Ich bin mittendrin, als Leitung, Regie, Impulsgeberin, Impuls-Aufgreiferin. Auch, damit es schöne Bilder gibt, zum Verbreiten, zum Drüber-Sprechen - sonst vergessen wir noch selber, was wir angetreten sind, zu tun!
Wir die wir da waren, haben es zusammen schön gehabt & aufregend:
es waren Kinder dabei, die einfach gespielt haben
es waren Familien dabei, die sich getroffen haben
es wurde Essen und Trinken geteilt
es wurde gesungen
es wurde durch Fenster gerufen und mit Holzhänden Sachen über die Grenze gegeben
es wurden Bänder geflattert und Schwingrohre geschwungen
es wurde eine Europafahne aufgehängt
es haben Menschen Zeit miteinander verbracht, die sich sonst niemals in dieser Konstellation gefunden hätten (einschließlich Zaungäste und Polizisten)
es war: außer-gewöhnlich.
es war bayerisch-bayerisch, tschechisch-tschechisch und auf seltsame, besondere Art grenzübergreifend
Eleanora Allerdings, 24.5.2020